Sitz mit Stil – Upcycling als Gestaltungskompetenz
Nachhaltigkeit erleben im textilen Werkunterricht der Primarstufe – vom alten Kleidungsstück zum Sitzpolster
Einleitung: Mein Zugang zu Textilgestaltung und Bildung für nachhaltige Entwicklung
Textiles Gestalten ist für mich weit mehr als Nähen oder Basteln – es ist ein ganzheitlicher Lernprozess, in dem Kinder mit ihren Händen denken, empfinden, entscheiden und gestalten. In meiner täglichen Arbeit im Fach Technik und Design erlebe ich, wie kraftvoll einfache Materialien wirken können, wenn sie kreativ eingesetzt werden – besonders dann, wenn Kinder aus vermeintlichem „Abfall“ etwas Eigenes schaffen dürfen.
Das vorliegende Projekt verbindet mein pädagogisches Anliegen – Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) erlebbar zu machen – mit einem konkreten textilen Vorhaben. Als Doktorandin im Bereich BNE forsche ich zu der Frage, wie Kinder Selbstwirksamkeit erfahren und Wissen aktiv vernetzen, wenn sie in echten Gestaltungsprozessen tätig sind. Der Upcycling-Webpolster zeigt, wie sich textile Techniken, ökologische Bildung und handlungsorientierter Unterricht auf einfache, aber wirksame Weise verbinden lassen.
Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf einem thematisch verwandten Praxisfeld, das im Rahmen eines laufenden Dissertationsprojekts an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (Betreuung: Assoc. Prof. Dr. Stefan Zehetmeier) vertieft untersucht wird. Der hier dargestellte Artikel greift keine empirischen Ergebnisse der Dissertation vorweg.
Pädagogischer Zugang
Kinder erleben im Werkunterricht Selbstwirksamkeit besonders dann, wenn sie mit ihren eigenen Händen etwas Nützliches und Persönliches erschaffen. In diesem Projekt gestalten sie ihren eigenen runden Sitzpolster – und zwar aus unbrauchbaren Kleidungsstücken und Alltagsmaterialien. Mithilfe von stabilen Hula-Hoop-Reifen aus dem Turnunterricht weben sie kreisrunde Sitzflächen. Dabei entdecken sie, dass aus scheinbar wertlosen Materialien neue, alltagstaugliche Dinge entstehen können – ein handlungsorientierter Zugang im Sinne des Lehrplans Technik und Design (BMBWF, 2023, S. 262).
Projektidee und Hintergrund
Das textile Projekt verknüpft klassische Handarbeitstechniken mit ressourcenschonendem Denken und kreativer Gestaltung. Die Kinder weben eine runde Sitzfläche auf einem Hula-Hoop-Reifen, füllen diese mit Textilresten und nähen abschließend eine wiederverwertete Taschenunterseite daran – etwa aus einem gebrauchten Einkaufssackerl.
Dieser didaktische Zugang verbindet Körpererfahrung, Materialerlebnis und Selbsttätigkeit – zentrale Prinzipien eines modernen Technik- und Werkunterrichts (BMBWF, 2023, S. 262; Kommentar TuD, 2023, S. 4). Die Schüler:innen lernen im Tun, was Wiederverwertung bedeutet, erleben Gestaltungsspielräume und reflektieren über ihr eigenes Konsumverhalten.
Lehrplanbezug und Kompetenzverortung
Das Projekt entspricht den Vorgaben des österreichischen Lehrplans für die Volksschule im Bereich „Technik und Design“. Im Zentrum stehen die Förderung von Gestaltungskompetenz, Kreativität, Ausdauer und Kooperationsfähigkeit (vgl. AVL, 2023, S. 11–13).
Entsprechend dem Kommentar zum Fachlehrplan erwerben die Schüler:innen im Tun sowohl fachliche Kompetenzen im Bereich der textilen Gestaltung (Weben, Schneiden, Nähen), als auch personale Kompetenzen wie Konzentration und Durchhaltevermögen sowie soziale Kompetenzen durch das Arbeiten im Team (vgl. Kommentar TuD, 2023, S. 6).
Das Projekt ermöglicht eine klare Kompetenzorientierung, ist altersgerecht, flexibel differenzierbar und lässt sich in offenen Lernformen (z. B. Stationenbetrieb) umsetzen.
Bildung für nachhaltige Entwicklung im textilen Gestalten
Das Projekt ist direkt im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) verortet. Die Kinder erfahren im handlungsorientierten Tun, dass sie aus gebrauchten, scheinbar wertlosen Materialien ein neues, funktionales Produkt herstellen können. Sie erleben den textilen Kreislauf konkret: aus Alttextilien wird ein neuer Gebrauchsgegenstand – ein Sitzpolster, individuell gestaltet, durchdacht und selbst gefertigt.
Dieses Projekt greift insbesondere das Nachhaltigkeitsziel SDG 12 – „Nachhaltiger Konsum und Produktion“ der Agenda 2030 auf. Die Auseinandersetzung mit dem Wert von Stoffen, mit Wiederverwendung und mit ressourcenschonendem Handeln bildet eine wichtige Grundlage für ökologisches Bewusstsein im Sinne des Weltaktionsprogramms BNE (vgl. AVL, 2023, S. 12; UNESCO, 2017, S. 10).
Im didaktischen Konzept spiegelt sich dabei das GreenComp-Kompetenzmodell wider:
- Systemisches Denken wird gefördert, wenn Kinder Stoffkreisläufe erkennen und hinterfragen (vgl. Praxishandbuch, 2024, S. 9).
- Gestaltungskompetenz zeigt sich im eigenständigen Planen, Entwerfen und Durchhalten beim Umsetzen des Polsters (vgl. de Haan, 2008, S. 29).
- Kritisches Denken und Eigenverantwortung entstehen, wenn sich die Schüler:innen bewusst für Farben, Materialien und Aufbereitung entscheiden und sich mit der Frage beschäftigen: „Würde ich das auch verwenden, was ich da mache?“
Das Projekt eröffnet damit nicht nur Zugang zur Welt des Textilhandwerks, sondern ermöglicht auch eine reflexive Auseinandersetzung mit Konsumverhalten und Alltagsästhetik – ein zentrales Ziel des Lehrplans Technik und Design (Kommentar TuD, 2023, S. 7).
Reflexionsimpulse für die Arbeit mit den Kindern
- Was war für dich beim Weben besonders schwierig – und was besonders schön?
- Welche Materialien hast du verwendet? Woher stammen sie – und was sagt das über unseren Umgang mit Dingen aus?
- Wie hast du dein Sitzpolster gestaltet – welche Entscheidungen hast du getroffen?
- Wie fühlt es sich an, etwas selbst gemacht zu haben, das du auch wirklich verwenden kannst?
- Was bedeutet für dich „nachhaltiges Gestalten“? Könntest du dir vorstellen, so etwas auch zu Hause umzusetzen?
- Worin unterscheidet sich ein Sitzpolster aus alten Stoffen von einem, den man im Geschäft kauft?
Materialien
Materialien | Bemerkung |
Hula-Hoop-Reifen | möglichst stabil; aus dem Turnunterricht |
Baumwollkordel oder Schnur | für das Spannen der Kettfäden (ungerade Zahl!) |
Alte Kleidungsstücke | z. B. Jeans, Bettwäsche, T-Shirts, Handtücher |
Stoffreste & Textilabfälle | für die Polsterfüllung |
Gebrauchtes Einkaufssackerl (eventuell gewebtes Stoffsacker)) | für die Rückseite des Sitzpolsters |
Stoffschere, Fingerhut, Nadel, Klebeband | zur Vorbereitung und Handnaht |
Zeitbedarf insgesamt
- 5 – 7 Unterrichtseinheiten à 50 Minuten → Aufteilung nach Phasen:
- Vorbereitung & Spannen: 1 Einheit
- Weben & Abnehmen: 2 – 4 Einheiten
- Nähen & Füllen: 1-2 Einheiten
Arbeitsschritte: Vom alten Kleidungsstück zum Webpolster
Die Umsetzung erfolgt in mehreren klar strukturierten Schritten, bei denen die Schüler:innen eigenständig, aber gut begleitet arbeiten können. Dabei stehen das materialbezogene Lernen, die Erprobung gestalterischer Verfahren sowie Reflexion und Dialog im Mittelpunkt – zentrale methodische Prinzipien im Bereich Technik und Design (vgl. Praxishandbuch, 2024, S. 14; AVL, 2023, S. 11).
- Material sammeln: Die Schüler:innen bringen von zu Hause aussortierte Kleidung mit – z. B. Jeans, Shirts, Bettwäsche oder Handtücher. Diese Vorbereitung schafft einen ersten Bezug zur eigenen Lebenswelt (vgl. Kommentar TuD, 2023, S. 5).
- Streifen vorbereiten: Die Textilien werden per Hand in 3–5 cm breite Streifen gerissen – das fördert feinmotorische Fähigkeiten und taktile Wahrnehmung.
- Hula-Hoop-Reifen vorbereiten: Stabile Reifen aus dem Turnunterricht dienen als Webrahmen. Mit Baumwollkordel wird eine ungerade Anzahl von Kettfäden aufgespannt – eine Voraussetzung für die Webtechnik (vgl. Praxishandbuch, 2024, S. 14).
- Weben beginnen: Mit einem Stoffstreifen wird von innen nach außen gearbeitet – über und unter den Kettfäden im Wechsel. So entsteht eine kreisrunde Sitzfläche, individuell im Design und Materialmix.
- Webstück abnehmen und sichern: Ist der gewünschte Durchmesser erreicht, wird das Gewebe vorsichtig vom Reifen gelöst und an den Außenfäden verknotet.
- Einkaufssackerl als Rückseite vernähen: Ein gebrauchtes Einkaufssackerl (od. Gewebeplastik) wird zurechtgeschnitten und von Hand rundum angenäht. Dies erfordert gezielte Nadelarbeit und ermöglicht individuelle Gestaltung.
- Befüllen:
Das Innenleben besteht aus Stoffresten und Alttextilien – bewusst nachhaltig, weich und einfach handzuhaben.
Tipps & Tricks zur Umsetzung
- Reifen stabilisieren: Dünne Hula-Hoops lassen sich mit Klebeband am Boden oder Tisch fixieren – das erleichtert das Weben (vgl. Praxishandbuch, 2024, S. 15).
- Differenzieren nach Alter: Für jüngere Kinder kann das Spannen der Kettfäden vorbereitet oder gemeinsam im Team durchgeführt werden. Fortgeschrittene Kinder übernehmen diese Schritte selbstständig – eine Form der Binnendifferenzierung im Sinne des Lehrplans (vgl. Kommentar TuD, 2023, S. 9).
- Nachhaltigkeit betonen: Bereits bei der Materialauswahl kann auf ökologische Aspekte hingewiesen werden – etwa durch das Hinterfragen von Fast Fashion oder Verpackungskunststoffen (vgl. AVL, 2023, S. 12).
- Selbstwirksamkeit stärken: Eine öffentliche Präsentation (z. B. Sitzecke, Ausstellung, „Polster-Porträts“) motiviert und macht das Projekt sichtbar. Der Stolz auf das eigene Werk fördert die Erfahrung: „Ich kann etwas gestalten, das zählt“ (vgl. Fuchs, 2005, S. 22; Hoheneder, 2022, S. 207).
Reflexion und Ausblick
Das Sitzpolster-Projekt verbindet handlungsorientiertes Lernen, Materialerfahrung und Bildung für nachhaltige Entwicklung in einem kreativen Gesamtkonzept. Die Kinder erleben durch das praktische Tun, dass sie gestalterisch tätig werden und gleichzeitig ökologisch verantwortlich handeln können.
Neben dem fachlichen Kompetenzerwerb fördert das Projekt Reflexion, Eigenverantwortung und Teamarbeit – zentrale Ziele eines ganzheitlichen Technikunterrichts (vgl. Kommentar TuD, 2023, S. 7; UNESCO, 2017, S. 10).
Besonders wirkungsvoll ist die Verbindung von persönlicher Gestaltung mit einem gesellschaftlich relevanten Thema– ganz im Sinne der GreenComp-Kompetenz „Empowerment“: Kinder erleben sich als wirksame Akteure für eine nachhaltige Zukunft (vgl. Kropp, 2025, S. 27).
Heike Lang, BEd MA ist Lehrerin an der PVS Augustinum sowie Lehrende in der Aus- und Fortbildung von Pädagog:innen der PPH Augustinum Graz, Österreich. Seit vielen Jahren verbindet sie in ihrer Unterrichtspraxis Kreativität, Nachhaltigkeit und handlungsorientiertes Lernen. Derzeit promoviert sie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt im Doktoratsprogramm Bildung und Transformation, wo sie zur Selbstwirksamkeit von Kindern im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) forscht. Ihre Unterrichtsprojekte orientieren sich an reformpädagogischen Prinzipien und zielen auf die Stärkung von Gestaltungskompetenz im Werkunterricht.
Mögliche Kastentexte
Was ist Upcycling?
Upcycling bedeutet, scheinbar nutzlose Materialien aufzuwerten und in neue, höherwertige Produkte zu verwandeln. Im Gegensatz zum Recycling bleibt dabei die ursprüngliche Struktur oft erhalten. Das Webpolster-Projekt zeigt, wie Textilreste durch kreatives Tun wieder sinnvoll nutzbar gemacht werden – ressourcenschonend, individuell und alltagstauglich.
BNE und SDG 12 – Nachhaltigkeit leben im Werkunterricht
Das Projekt trägt aktiv zur Umsetzung des Nachhaltigkeitsziels SDG 12 (Nachhaltiger Konsum) bei. Die Kinder lernen im Tun: Textilien sind wertvoll – auch wenn sie alt sind, Selbermachen spart Ressourcen, Kreativität ist ein Schlüssel zu nachhaltigem Handeln (vgl. UNESCO, 2017; AVL, 2023)
Kompetenzen im textilen Gestalten
Im Projekt „Sitz mit Stil“ werden zentrale Kompetenzen aus dem Fachbereich Technik & Design gefördert:
Fachliche Kompetenz: Webtechniken, Stoffbearbeitung, Nähfertigkeiten,
Personale Kompetenz: Ausdauer, Entscheidungsfreude, Kreativität,
Soziale Kompetenz: Teamarbeit, Verantwortung, gegenseitige Hilfe
(vgl. Kommentar TuD, 2023, S. 6)
Literaturverzeichnis
- AVL (2023): Bildung, Technik und Design – Impulse für den Werkunterricht. Broschüre der Arbeitsgruppe Volksschule Technik und Design. Wien: BMBWF.
- BMBWF – Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (2023): Lehrplan der Volksschule. Fachbereich Sachunterricht – Technik und Design. Wien.
- de Haan, G. (2008): Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept für Bildung für nachhaltige Entwicklung. In: Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 31(2), S. 27–34.
- Fuchs, E. (2005): Selbstwirksamkeit lernen im schulischen Kontext. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
- Hoheneder, N. (2022): Nachhaltiges Lernen in der Grundschule. Eine qualitative Untersuchung zur Förderung von Gestaltungskompetenz und Selbstwirksamkeit. Dissertation. PH Oberösterreich.
- Kommentar zum Fachlehrplan Technik und Design (2023): Ergänzungsband zum Lehrplan der Volksschule. Wien: BMBWF.
- Kropp, C. (2025): GreenComp in der Bildungspraxis – Nachhaltigkeitskompetenz als Bildungsziel. Weinheim: Beltz.
- Lang, H. (2025): Portfoliomappe Werkunterricht – Technik und Design in der Primarstufe. Unveröffentlichtes Unterrichtsmaterial. Klagenfurt: Eigene Erstellung.
- Praxishandbuch Technik und Design (2024): Praxishandbuch zur Umsetzung des neuen Fachbereichs Technik und Design in der Volksschule. Wien: BMBWF.
- UNESCO (2017): Bildung für nachhaltige Entwicklung: Ziele, Inhalte und Umsetzungsstrategien im Rahmen des Weltaktionsprogramms. Paris: UNESCO.